Montag, 8. Dezember 2008

Auf Forellenfang im Ohorner Niederwald

Prenzlmaler Dieter Raedel. Satire, wahre und ersponnene Geschichten aus meinem Heimatort Ohorn.

Seit meiner Kindheit habe ich eine besondere Beziehung zu Bächen, Flüssen und Teichen. Stundenlang bin ich imstande, das fließende Wasser zu beobachten und mich an den Uferzonen zu besachäftigen. Je wilder und unberührter die Natur erscheint, desto größer meine Lust am Beobachten der Gewässer. Doch warum ist das bei mir so üppig ausgeprägt ?

In Ohorn entspringt das kleine Flüsschen Pulsnitz, im Oberdorf des Ortes. Die Pulsnitz nimmt ihre Kinderwanderung durch das Mitteldorf, wo sie den beachtlichen Dorfteich tränkt, wandert durch die Fuchsbelle, den Ohorner Niederwald und begrüßt anschließend die Pfefferkuchenstadt Pulsnitz in der Vollung. Die Kleinstadt hätte ohne unserem Wasserlauf keinen Namen. Obwohl das Flüsschen so klein ist, hat es eine Berühmtheit an sich, in vergangenen Zeiten Grenzfluss zweier Reiche gewesen zu sein. So bedeutend ist das kleine Wässerchen, das ich so sehr mag.

Als Nachkriegskind lernte ich den Hunger kennen, und mit etwa 8 Jahren die Pulsnitz. Zunächst spielte ich mit ihr und ließ meine Boote fahren. Die Flotte bestand aus einfachen abgebrochenen Zweigen. Blieb ich nicht an der Uferzone im Schlamm stecken, verfolgte ich die Reise meiner Schiffe. Manchmal wurden auch Flaschen gestartet, ohne Post. War ich des Spiels müde, sumpfte ich im Morast rum und erfreute mich daran, wie Schuhe und Schlammbrühe Hochzeit feierten. Manchmal patschte ich als Zugabe mit den Händen im Sumpf rum, weil das so aufregend war.

Die Pulsnitz zeigte sich damals für mich noch von der wirtschaftlichen Seite. Neben kleinen Fischen gab es ziemlich große Forellen, die sehr schön aussahen und deshalb Regenbogenforellen heißen. Ich stocherte in den Flussmulden rum, um die Fische aufzuscheuchen. Manchmal baute ich Wehre und siedelte dort die Forellen an. War ich fertig mit dem Spiel, gab es Ohrfeigen, weil ich gewöhnlich nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam und offensichtlich mitten in der Natur kein Zeitgefühl besaß. Für die Disziplin Handschmetterlinge war mein Vater zuständig, der im Austeilen von Schlägen ein wahrer Meister war. Er war stark und geübt!

Im Laufe der Zeit erzählte ich mein Treiben am Fluss meinem Freund Jürgen, der sogleich aufhorchte und mit den Forellen was anzufangen wusste. Auch ihm war bekannt, wie ein leerer Magen rumgurgeln konnte. So entwarf er einen Generalstabsplan, wie man die Forellen einfangen und danach verschlingen konnte. Zunächst wollte ich nicht, weil die kleinen Fische so herrlich aussahen. Jürgen meinte, die Forellen an Ort und Stelle braten zu können. Mitten im Wald ein Bratfeuerchen. Nicht schlecht ! Rumgogeln hat was, ich bin dabei !

Wir rannten am nächsten Tag in den Wald und konnten es gar nicht erwarten, in der Nähe der Pulsnitz aufzutauchen. Endlich. Jürgen meinte, man müsse ganz leise sich dem Wasser nähern, ansonsten würden die Forellen sich verstecken. Er hatte tollerweise ein Fachwissen, das er mir weiter vermitteln konnte. Bald sahen wir die ersten Exemplare und Jürgen stieg ganz vorsichtig ins Wasser. Vor seinen Augen zeigte sich ein ordentlicher Fisch und Jürgen wollte schnell zupacken. Er stolperte über einen Stein und klatschte in die Pulsnitz. Nachdem er pitschnass sich wieder aufgestellt hatte, sagte er : "Sei ruich, du vertreibst die Fische !" Das saß ! In dem Moment kriegte ich einen Lachanfall und anschließend seine Erklärung zu hören, die darin mündete, selbst der Fischvertreiber zu sein. Mir reichte es und ich haute ab.

Nun kam er hinterher und schlug versöhnlichere Töne an. Meine Freude war verpufft und ich wollte nicht mehr. So teilte ich ihm mit, dass man Netze braucht. Das leuchtete ihm ein und wir rannten ins Dorf, um brauchbare Artikel ausfindig zu machen. Alles umsonst, wir fanden nichts. Jürgen war überhaupt nicht zufrieden, vor allen Dingen nicht, als er bemerkte, keine Streichhölzer zu haben. So schmiedeten wir ein Programm für den nächsten Tag und ich träumte von Forellen.

Nachmittags des darauffolgenden Tages musterten wir unsere Ausrüstung und waren hell begeistert. Jürgen hatte zwei alte Säcke aufgetrieben und diese bereits mit Löchern versehen. Ich hatte zwei Kleidungsstücke meiner Mutter beschlagnahmt, durch die das Wasser rieseln konnte. Streichhölzer hatten wir beide. Nun konnte der Fischereibetrieb eröffnet werden.

An der Pulsnitz angekommen, riegelten wir eine Wasserzone mit einem Überlauf in der Mitte ab, wo die Säcke zum Einsatz kommen sollten. Hinter unserem Damm gruben wir mit den Händen eine Art Kanal in den Fluss, um das Wasser samt Fischen abzulassen. Etwas weiter oberhalb des Staudammes stapelten wir Steine auf und versuchten wiederum das Wasser auf Kommando zu stauen. Nun kam der spannende Moment.

Der Damm wurde in der Mitte freigeschaufelt, mit den Fangsäcken versehen und das Wasser schoss durch. Ich durfte im Stausee rumstochern, um die Forellen aufzumuntern. Der obere Damm brach und unser Spezialeinsatz war vorbei. Bald stellten wir jedoch fest, eine Anzahl kleinerer Fische und zwei größere Forellen gefangen zu haben. Die Kleinen wurden in die Freiheit entlassen und die Großen durften bleiben. Uns lief der Speichel im Munde zusammen. Wir bauten einen kleinen Steinofen und entfachten Feuer. Das Grillen der Fische klappte auf Anhieb.

Oh, wie das schmeckte !

Wir waren unbeschreiblich glücklich, dem Nachkriegshunger einen Streich gespielt zu haben. Nachdem wir den Feuerplatz mit Wasser reichlich begossen hatten, strebten wir voll ausgelassener Freude dem Dorf zu. Das sollte nicht das erste und letzte Mal gewesen sein. Und was besonders schön war, die Erwachsenen haben nie etwas mitgekriegt.


Gruß Prenzlmaler.

Samstag, 20. September 2008

Ohorn - mein Dorf. Die Kartoffeltaufe.

Als ich etwa 14 Jahre alt war und an einem Samstag traditionell die Zinkbadewanne in der Küche von meinem Vater Walter Raedel aufgestellt wurde, war sein Himmel noch nicht bewölkt und das seelische Gleichgewicht schien sich in vertretbaren Regionen eingependelt zu haben. Der eiserne Ofen gab alles was er geben konnte und stand an der Schwelle des Errötens. Quer durch die große Küche war ein langes Ofenrohr unter der Decke angebracht, um möglichst viel Hitze dem Ofen zu entlocken. Auf einer anderen Kochmaschine standen große Töpfe mit Badewasser und an ihrem Klang konnte man unschwer die Temperatur erahnen.

Walter war in bester Verfassung, gab sich einen Ruck und wanderte in den Keller, um die Wanne zu holen. Er transportierte sie, indem er mit dem Rücken darin verschwand und mit beiden Händen diese abstützte. Tauchte er zu meiner Freude in dieser Stellung im Flur auf, hatte er Ähnlichkeit mit einer Madonna, die ihre eigene Grotte durch die Gegend schleppte. Nach der allsamstäglichen Installation wurde das Badewasser wohltemperiert in die Wanne gegossen und zwar so, dass für den ersten Badegast nur in etwa die Unterschenkel vom Wasser umgeben waren. Der erste Teilnehmer im Durchgangsverkehr war ich. Meine Mutter trieb mich beim Baden zur Eile an, schließlich wollte man die Resttemperatur für eigene Zwecke noch nutzen. War jemand besonders schmutzig, wie es in meinem Fall schon mal vorkommen konnte, gab es eine externe Vorwäsche, um die "Badebrie'e" nicht zu belasten. Kaum war einer raus, saß schon der nächste drin. Ruck zuck ging das. Alles ging wie am Schnürchen.

Nach dem Baden gab es Kakao mit Buttersemmeln, hmmm, lecker, und ich konnte das Ende der Reinigungsattacke kaum erwarten. Bis zum heutigen Tag hat sich das 2. Pawlowsche Signalsystem bei mir erhalten. Sobald ich mich in Berlin bade, bekomme ich anschließend Appetit auf Kakao und 'ne Butterschrippe. Gelernt ist gelernt. Die Ohorner Schule ! Wenn ich das hier schreibe, läuft mir automatisch das Wasser im Munde zusammen. Kein Wunder, es ist Samstag. An diesem Tag sollte ich schneller zum Kakao kommen, da meine Schwester Edith bereits mit dem "Schneiderlein vom Erdbrückenweg", eine damals achtzehnjährige Ohorner Gurke, Richtung Pulsnitz zum Männerfang unterwegs war.

Endlich war die Prozedur vorbei, die Fenster wurden geöffnet, um die seifegeschwängerten Dampfschwaden abziehen zu lassen. Walter holte einen "Schäbbdobb" (Schöpftopf) und goss das Wasser in die "Dreckeemor". Mit beiden Eimern bewaffnet verließ er singend die Küche:
"Mach' dein Fenster auf,
i wart schon so lang drauf.
Einzig Busserl (Kuss) möcht' i nur,
sonst werd' i verrur." (verrückt).
Wahrscheinlich hatte er während der Gefangenschaft von einem bayerischen Kameraden das Lied aufgeschnappt. Es ist das einzige Lied, das ich von ihm lernte.

Kaum war die Küchentür zum Flur geschlossen, pfiff er die Melodie in bester Laune weiter und bald war sein Pfeifkonzert seltsamerweise im Keller zu hören. Er setze an der Kellertreppe die Eimer ab, holte schwungvoll aus und goss das Badewasser eines Eimers über die Einkellerungskartoffeln ! Nach dem "Schwuutz" erwachte er aus seiner "Trieferei" und schleuderte die härtesten Flüche der Welt in das Gewölbe. Oh, Walter konnte erschreckend gut fluchen.

Während meine Mutter und ich am Tisch das Lachen nicht verkneifen konnten und genüsslich die Buttersemmeln zum Kakao uns schmecken ließen, machte sich Walter daran, jede einzelne Kartoffel mit einem Lappen trocken zu reiben. Als er damit fertig war, meinte er :
"So konnt'ch glei die Kartoffeln abkeimen !"


Dieter Raedel, Berlin.