Samstag, 20. September 2008

Ohorn - mein Dorf. Die Kartoffeltaufe.

Als ich etwa 14 Jahre alt war und an einem Samstag traditionell die Zinkbadewanne in der Küche von meinem Vater Walter Raedel aufgestellt wurde, war sein Himmel noch nicht bewölkt und das seelische Gleichgewicht schien sich in vertretbaren Regionen eingependelt zu haben. Der eiserne Ofen gab alles was er geben konnte und stand an der Schwelle des Errötens. Quer durch die große Küche war ein langes Ofenrohr unter der Decke angebracht, um möglichst viel Hitze dem Ofen zu entlocken. Auf einer anderen Kochmaschine standen große Töpfe mit Badewasser und an ihrem Klang konnte man unschwer die Temperatur erahnen.

Walter war in bester Verfassung, gab sich einen Ruck und wanderte in den Keller, um die Wanne zu holen. Er transportierte sie, indem er mit dem Rücken darin verschwand und mit beiden Händen diese abstützte. Tauchte er zu meiner Freude in dieser Stellung im Flur auf, hatte er Ähnlichkeit mit einer Madonna, die ihre eigene Grotte durch die Gegend schleppte. Nach der allsamstäglichen Installation wurde das Badewasser wohltemperiert in die Wanne gegossen und zwar so, dass für den ersten Badegast nur in etwa die Unterschenkel vom Wasser umgeben waren. Der erste Teilnehmer im Durchgangsverkehr war ich. Meine Mutter trieb mich beim Baden zur Eile an, schließlich wollte man die Resttemperatur für eigene Zwecke noch nutzen. War jemand besonders schmutzig, wie es in meinem Fall schon mal vorkommen konnte, gab es eine externe Vorwäsche, um die "Badebrie'e" nicht zu belasten. Kaum war einer raus, saß schon der nächste drin. Ruck zuck ging das. Alles ging wie am Schnürchen.

Nach dem Baden gab es Kakao mit Buttersemmeln, hmmm, lecker, und ich konnte das Ende der Reinigungsattacke kaum erwarten. Bis zum heutigen Tag hat sich das 2. Pawlowsche Signalsystem bei mir erhalten. Sobald ich mich in Berlin bade, bekomme ich anschließend Appetit auf Kakao und 'ne Butterschrippe. Gelernt ist gelernt. Die Ohorner Schule ! Wenn ich das hier schreibe, läuft mir automatisch das Wasser im Munde zusammen. Kein Wunder, es ist Samstag. An diesem Tag sollte ich schneller zum Kakao kommen, da meine Schwester Edith bereits mit dem "Schneiderlein vom Erdbrückenweg", eine damals achtzehnjährige Ohorner Gurke, Richtung Pulsnitz zum Männerfang unterwegs war.

Endlich war die Prozedur vorbei, die Fenster wurden geöffnet, um die seifegeschwängerten Dampfschwaden abziehen zu lassen. Walter holte einen "Schäbbdobb" (Schöpftopf) und goss das Wasser in die "Dreckeemor". Mit beiden Eimern bewaffnet verließ er singend die Küche:
"Mach' dein Fenster auf,
i wart schon so lang drauf.
Einzig Busserl (Kuss) möcht' i nur,
sonst werd' i verrur." (verrückt).
Wahrscheinlich hatte er während der Gefangenschaft von einem bayerischen Kameraden das Lied aufgeschnappt. Es ist das einzige Lied, das ich von ihm lernte.

Kaum war die Küchentür zum Flur geschlossen, pfiff er die Melodie in bester Laune weiter und bald war sein Pfeifkonzert seltsamerweise im Keller zu hören. Er setze an der Kellertreppe die Eimer ab, holte schwungvoll aus und goss das Badewasser eines Eimers über die Einkellerungskartoffeln ! Nach dem "Schwuutz" erwachte er aus seiner "Trieferei" und schleuderte die härtesten Flüche der Welt in das Gewölbe. Oh, Walter konnte erschreckend gut fluchen.

Während meine Mutter und ich am Tisch das Lachen nicht verkneifen konnten und genüsslich die Buttersemmeln zum Kakao uns schmecken ließen, machte sich Walter daran, jede einzelne Kartoffel mit einem Lappen trocken zu reiben. Als er damit fertig war, meinte er :
"So konnt'ch glei die Kartoffeln abkeimen !"


Dieter Raedel, Berlin.